SPRECH-Nachrichten, 3. Nov. 2020

Leitartikel: „Schwadroneure, Fake News und Eiferer“

Wie kommt es? … Besonnenheit, Kompetenz und Wahrhaftigkeit scheinen keine Tugenden mehr zu sein!? Ich höre in den Medien, in privaten Gesprächen, in öffentlichen Diskussionen mehr und mehr nachgeplapperte Stehsätze und Worthülsen, unhinterfragte Falschaussagen und unbewiesene Hypothesen. Ist uns an der Wahrheit nichts mehr gelegen? Sind hohle Parolen ein Gesprächsinhalt? Ist es uns egal, dass man Tatsachen bis zur Lüge verdreht, mit erfundenen Behauptungen Menschen manipuliert, und ja, das ist nicht neu: dergestalt Wahlen entscheidet, Völker entzweit, Finanzwelten umstürzt?

Denken heißt hinterfragen. „Denken ist reden mit sich selbst“ (Platon). Und dem Denken und Reden geht eine konstruktive Gewissensbildung voraus. Zu lernen, nachzulesen und Fakten einzuholen war noch nie in der Geschichte so einfach wie heute; und gleichzeitig noch nie so schwierig. Die Überinformation erschwert das kritische Filtern und Hinterfragen. Eine Aussage, die uns plausibel erscheint und dazu geeignet ist, eine vorgefasste Meinung zu untermauern, dient schnell und bequem - und in der Folge oft lauthals und wortreich - als Argument.

Worte schaffen Realitäten. Es war immer schon ein manipulatives Instrument von Demagogen, Meinungen dieserart in eine gewünschte Richtung zu lenken. Mir kommt vor, heute ist das zu einer allgemein gebilligten Methode, quasi einer Marketingstrategie, geworden … und wir damit zu willigen Opfern. Bert Brecht sagte: „Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher.“ Nach dieser Annahme wären wohl einige Dummköpfe und Verbrecher am Werk… ?

Vielleicht kennen Sie die drei Siebe des Sokrates (eine nette Anekdote die auch anderen Philosophen, wie z.B, Mullah Nasreddin Hodscha zugeschrieben wird).

Zum weisen Sokrates kam einer gelaufen und war voll Aufregung: „Höre, Sokrates, das muss ich dir erzählen, wie dein Freund ...“

„Halt ein!“, unterbrach ihn der Weise, „hast du das, was du mir sagen willst, durch die drei Siebe gesiebt?“

„Drei Siebe?“, fragte der andere voll Verwunderung.

„Ja, guter Freund. Lass sehen, ob das, was du mir zu sagen hast, durch die drei Siebe hindurchgeht. Das erste Sieb ist die Wahrheit. Hast du alles, was du mir erzählen willst, geprüft, ob es wahr ist?“

„Nein, ich hörte es erzählen und ...“

„Aber sicher hast du es mit dem zweiten Sieb geprüft, es ist das Sieb der Güte. Ist das, was du mir erzählen willst - wenn es schon nicht als wahr erwiesen -, so doch wenigstens gut?“

Zögernd sagte der andere: „Nein, das nicht, im Gegenteil …“

„Hm", unterbrach ihn der Weise, „so lass uns auch das dritte Sieb noch anwenden und lass uns fragen, ob es notwendig ist, mir das zu erzählen, was dich so erregt!“

„Notwendig nun gerade nicht …“

„Also", lächelte der Weise, „wenn das, was du mir erzählen willst, weder wahr noch gut, noch notwendig ist, so lass es begraben sein und belaste dich und mich nicht damit!“

Mir scheint, wir sollten öfter ein wenig aussieben, was wir in unser Ohr und damit in unser Hirn und unser Herz lassen. … Und ebenso aussieben, was auch wieder in die Welt hinaus tönen darf.

Im Sprechtraining lernt man nicht nur, artikuliert und wohltönend zu sprechen, sondern auch glaubwürdig und überzeugend zu reden. Mit meinen Klientinnen und Klienten erarbeite ich einerseits einen klaren Ausdruck und andererseits eine souveräne Rhetorik. Denn Denkdisziplin kann geübt und Haltung kann gelernt werden.

Sich eine eigene Meinung zu bilden ist wünschenswert. Aber manchmal darf man auch erkennen, dass es selten schwarz und weiß gibt, und es zu einfach ist, sich unhinterfragt einer Seite anzuschließen. Es ist sehr schwierig, sich einem Gruppenzwang zu entziehen und Fanatikern zu widersprechen. Es ist schwierig, sich dem gerade wabernden Dampfgeplaudere nicht anzuschließen. Es ist schwierig, sich seriöse Nachrichten zu suchen und abzuwägen, wofür man selbst steht. Und es ist schwierig, seine Haltung kritisch durch die eigenen moralischen Siebe zu filtern und in passende Worte zu fassen.

Schwierig. Aber, ich meine notwendig.

Sprech-Übung

„Zum Dichter bist Du geboren. Zum Redner wirst Du gemacht.“, wussten die alten Römer. Gutes Reden kann gelernt werden. Allerdings nicht in zwei Tagen, sondern in einem langfristigen Umprogrammieren der Automatismen.

Sie legen Wert auf körperliche Fitness? Auf ein gepflegtes Äußeres? Auf eine geschliffene Sprache? Alle brauchen gleichermaßen Aufmerksamkeit – sonst verkümmern sie.

Die Übung: machen Sie die tägliche Morgenrede zur Routine! Beginnen Sie mit zwei, drei Sätzen zum Tag, zu Ihrem Befinden und ja, warum nicht, zum Wetter. Achten Sie auf Ihre Haltung und Ihre Mimik, auf die Satzlänge und die Wortwahl, auf Ihre Stimme und Ihre Lautbildung! Es kommt einem am Anfang ziemlich dämlich vor, das stimmt. Aber wenn ich Ihnen sage, dass dies die einzige Möglichkeit ist, Unbewusstes deutlich zu machen, zu ändern und wieder unbewusst werden zu lassen, fällt es Ihnen bestimmt leichter. Nicht wahr? Ihre tägliche Rhetorik-Einheit dauert in der ersten Woche nur zwei Minuten und weitet sich in der Folge auf maximal zehn Minuten aus. Gehen Sie Gesprächspassagen der Vergangenheit durch und üben Sie Bevorstehendes. Mit der Zeit lernen Sie Ihre verbale Darstellungsfähigkeit besser kennen und beherrschen.

Wenn Sie bedenken, wie oft und wie viel am Tag Sie Ihre gesprochene Sprache brauchen, ist – im Vergleich zu Fitness und Körperpflege - das Sprechtraining zurzeit noch deutlich unterrepräsentiert, oder? :-)

Sprechtrainerin Petra Maria Berger: "Darüber freuen wir uns." (Foto: www.weinfranz.at)

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